Retreat

Kernbestandteil der nationalsozialistischen Ideologie war die Vernichtung „unwerten“ Lebens. Im Lauf der nationalsozialistischen Herrschaft wurde eine Maschinerie der Ausbeutung und Vernichtung von Menschen durch ein Netz von Konzentrationslagern aufgebaut.

In Ravensbrück wurde von den Nazis das größte Frauenkonzentrationslager eingerichtet. Die nach Ravensbrück Deportierten stammten aus über 40 Nationen. Hier wurden Frauen, die politisch aktiv und im Widerstand waren, die als Künstlerinnen, Politikerinnen, Schriftstellerinnen tätig waren, aber auch Jüdinnen, Sinti*zze und Rom*nja interniert.

 

Die Geschichte der Frauen wird seit der modernen Frauenbewegung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts erforscht. Frauen haben erkannt, dass sie ihren eigenen Blick auf die Geschichte benötigen und damit einen Blick auf IHRE Geschichte.
Wenn wir unserer weiblichen Vorfahren gedenken, machen wir uns damit vertraut, dass wir in einer Linie von Frauen stehen. Wir werden uns unserer Vielfalt bewusst durch die unterschiedlichen Rollenbilder im eigenen Geschlecht. Viele Frauen vor uns haben den Boden bereitet, auf dem wir nun stehen und unser Leben leben.

 

Ein Teil unserer Geschichte sind die Frauen in Ravensbrück. Die, die ermordet wurden weil sie Widerstand geleistet haben, Lebensentwürfe hatten, die im Nationalsozialismus als verwerflich angesehen wurden, durch Zufall in die Vernichtungsmaschinerie dieses lebensfeindlichen Systems gerieten oder einer von den Nationalsozialisten als „lebensunwert“ angesehenen Gruppe von Menschen angehörten.


Und auch die Frauen sind Teil unserer Geschichte, die dem System gedient haben, selbst ein Teil des Vernichtungssystems wurden, die sich haben vereinnahmen lassen und aktiv mitgemacht haben.
Der Nationalsozialismus hat viele Wunden hinterlassen, gesellschaftliche und individuelle. Scham, Schuldgefühle, Abwehr, Verharmlosung, Verleugnung, Schuldzuweisungen, Wegschauen wollen sind noch heute die Folgen.

 

Bei allen Formen der Auseinandersetzung geht es auch immer um den Versuch einer Erklärung, wie es „dazu“ kommen konnte. Wie wurden ganz normale Menschen zu Mördern von hilflosen Frauen, Kindern, Männern? Welche Bedingungen spielten eine Rolle? Ist dieses Böse die Ausnahme, das ganz Andere?

Und was hat das heute mit uns in unserer aktuellen Lebenssituation und mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun?

Welche Formen des Gedenkens ermutigen uns zu selbstbestimmtem, verantwortlichem, wachem Handeln, individuell und gesellschaftlich?

Wie die Sprachlosigkeit überwinden angesichts der unvorstellbaren Grausamkeiten, die Menschen anderen Menschen angetan haben?

Bei dem Retreat wird es weniger darum gehen, Antworten zu geben, als vielmehr, den Fragen in ihrer Vielschichtigkeit nachzugehen und uns ihnen auszusetzen. Wir werden uns mit dem konfrontieren, was uns Angst macht und was wir sonst wegschieben und verdrängen. Wir werden uns in dem 5-Tages-Retreat dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück auf verschiedenen Arten nähern.

 

Es wird täglich Zeiten der Stille und Meditation auf dem Lagergelände geben.
Wir werden der Frauen, die ermordet worden sind, deren Namen bekannt sind oder die vergessen wurden, gedenken.
Wir werden uns mit Überlebenden zum Gespräch treffen und uns von Ihnen ihre Geschichte erzählen lassen.
Mitarbeiter_innen der Gedenkstätte werden uns zu einzelnen Fragen und Themenkomplexen, wie z.B. der Verfolgung von lesbischen Frauen, der Geschichte des Lagers, der Vernichtung von Mädchen und Jugendlichen, Auskunft geben.

Wir werden uns täglich zu Kreisgesprächen treffen, um das Erlebte und Erfahrene zu teilen.
Das Retreat findet auf dem Gelände des ehemaligen Lagers statt. Der Ablauf und die einzelnen Einheiten sind inspiriert von den Retreats von Sylvia Wetzel und den Auschwitz-Retreats der Zenpeacemaker mit Bernie Glassman.
Das Retreat findet teilweise im Schweigen statt. Teilnehmen können alle Frauen und Menschen, die trans, inter oder nicht-binär sind, unabhängig von religiösem Hintergrund, Meditationserfahrung etc.